In der MT-Berichterstattung vermisst: Die Computeranimation zeigt die ESA-Sonde Rosetta bei ihrer Annäherung an die Erde. Illustration: ESA/C. Carreau via DPA
Von: Leseradresse
Gesendet: Donnerstag, 23. Januar 2014 15:58
An: Redaktion Lokales
Betreff: „Anregung“
An die Redaktion des Mindener Tageblattes, 32421 Minden
Betreff: „Anregung oder Verbesserungsvorschlag“
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Ehemann und ich sind langjährige Leser des Mindener Tageblattes. Wir lesen das Blatt auch „etwas kritisch“ und sind im „Großen und Ganzen“ mit der „Aufmachung“ zufrieden. –
Was wir in letzter Zeit vermissen, ist die etwas kritische Betrachtungsweise Ihrer Redakteure zum Weltgeschehen. Es ist einleuchtend, das es günstiger ist, sich aus den „großen Pool“ der Informationen zu bedienen. Da Sie ein unabhängiges Blatt sind, können Sie doch dementsprechende eigene Beiträge veröffentlichen und sich nicht dem in der Presse Üblichen anschließen: „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“.
Ich benenne es mal konkret: Die Darstellung des „Polit-Geschwafels“ nimmt überhand. Damit werden wir schon im Fernsehen und Radio stündlich „vollgelabert“. Da müssen wir nicht auch noch in der Zeitung lesen! Meiner Ansicht nach sollte Würdigung der Arbeiten von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern, schon im Hinblick auf die Fortbildung unserer Jugendlichen, nicht zu kurz kommen!
Als jüngstes Beispiel ist folgendes zu erwähnen: Die große technische Leistung über den Verlauf der Sonde „Rosetta“!! – Das ist eine Meisterleistung der präzisen Berechnung von Wissenschaftlern und Ingenieuren! Eine vor etwa 10 Jahren gestartete Sonde „zielt“ auf einen Asteroiden, wird 2 Jahre in den „Winterschlaf“ versetzt und durch Signale von der Erde, die ca. 810.000.000 km durchs All rasen, wieder in Funktion gesetzt! Und das bringen Sie zwar sehr gut erklärt auf „der Kinderseite“! Darüber müsste man doch einen 1-seitigen Bericht schreiben, auch wenn das alles im Internet recherchiert werden kann!
Oder ein anderes Beispiel: Alt-Bundeskanzler Schmidt feierte seinen 95. Geburtstag. Das ist doch eine gute Nachricht und gehört m. E. nicht in einen 4-Zeiler! – Wenn einer aus der Rock- und Popsänger 70 Jahre alt wird, wird dem mehr Aufmerksamkeit geschenkt!
Obwohl: Heute am 23.1.2014: Sie brachten heute einen Artikel, in dem die Tat eines 9jähriger Jungen gewürdigt wurde, der seine Familie gerettet hat und selber dabei sein Leben gelassen hat. Ein Held!! – Dabei frage ich mich: Wenn der Junge nun nicht gestorben wäre, wäre er dann auch als Held beachtet worden? – Solche und ähnlich Fälle gibt es viele und die gehören m.E. in den Mittelpunkt gerückt! Schlechte Nachrichten gibt es genug – Betrügereien auch, die gab es schon im römische Reich und wird es immer geben!
Ich hoffe, das Sie meine Anregungen nicht mißverstehen und Sie diese evtl. einmal berücksichten können. Wir werden es ja lesen. – Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Freude bei der Arbeit und Zusammenstellung und Kommentierung Ihrer Artikel!
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid K.
Leseradresse
ANTWORT DER CHEFREDAKTION:
Von: Thomas Traue (tom@mt-online.de)
Gesendet: Donnerstag, 13. Februar 2014, 19:38
An: Leseradresse
Betreff: AW: „Anregung“
Sehr geehrte Frau K.,
vielen Dank für Ihre kritischen, zugleich aber sehr konstruktiven Anmerkungen. Die Chefredaktion hat Ihre „Verbesserungsvorschläge“ ganz und gar nicht missverstanden. Im Gegenteil: Ihre konstruktiven Anregungen haben wir mit Interesse und weitgehender Zustimmung registriert.
Neben dem freundlichen Lob für die die nach Ihren Worten im „Großen und Ganzen“ gelungene MT-Aufmachung beklagen Sie – nicht völlig zu Unrecht – die generelle Nachrichtenauswahl, die häufig nach der vom Boulevard-Journalismus bestimmten Devise „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ getrieben ist.
Ein Wissenschaftler der europäischen Raumfahrtagentur Esa steht am 20.Jnauar2014 in einem Reinraum des Esa-Kontrollzentrums in Darmstadt (Hessen) an einer flugfähigen Kopie der Weltraumsonde „Rosetta“. Foto: DPA
Bevor ich darauf etwas näher eingehen möchte, erlauben Sie eine kurze Erläuterung zu dem von Ihnen konkret genannten Beispiel von der der Sondenmission „Rosetta“.
Die Sonde ist am Berichtstag bedauerlicherweise völlig an der MT-Nachrichtenredaktion vorbeigerauscht. Asche auf unser Journalisten-Haupt. Da hat die gesamte Mannschaft des Ressorts leider „geschlafen“. Die Meisterleistung der Wissenschaftler bei diesem Projekt hätte aktuell auf der Titelseite sowie mit einer umfassenden, einordnenden Reportage redaktionell gewürdigt werden müssen. In der ressortinternen Blattkritik am folgenden Tag ist das Thema ausführlich zur Sprache gekommen. Aber da lag das Kind schon im Brunnen – und die reine Nachricht von der gelungenen Signalkontaktaufnahme war „alt“. Gleichwohl wollten wir „Rosetta“ nicht ganz verschweigen: deshalb die Entscheidung, das Projekt im täglichen „Kinder-Text“ auf der Seite Querbeet kurz erklärend „nachzudrehen“. Zweite Entscheidung: das Thema wird auf einer der nächsten MT-Wissen-Seiten ausführlich dargestellt.
Gerne teile ich Ihre Einschätzung, dass die neuesten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung stärker herausgestellt werden sollten. Bahnbrechende, spektakuläre Studien versuchen wir in der Regel tagesaktuell zu berücksichtigen, im besten Fall auf die Alltags- und Lebenswirklichkeit der Leser/innen herunterzubrechen und einzuordnen. Im Zuge eines noch in diesem Jahre geplanten inhaltlichen und optischen Neuauftritts des Mindener Tageblattes („Relaunch“) bekommt unter anderem die MT-Wissensseite ebenso wie weitere Themenseiten aus den Bereichen Gesundheit, Verbraucher etc. eine noch stärkere Gewichtung und Kontinuität. Lassen Sie sich überraschen!
„Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ – auch bei dieser generellen Zustandsbeschreibung stimme ich Ihnen teilweise zu. Diese plakative Beschreibung der journalistischen Kriterien für die Nachrichtenbeurteilung steckt zweifelsohne in vielen Medien-Köpfen. Gleichwohl: Wollen wir Sachverhalte aufklären, Ungerechtigkeiten anprangern, Fehlentwicklungen und Missstände aufzeigen, werden Nachrichten-Journalisten das „Böse“ und „Schlechte“ nicht ausklammern können. Und so manches „Politik-Geschwafel“, das Sie kritisieren, sagt im Kontext bewertet manchmal mehr aus als es auf den ersten Eindruck scheint.
Ich kann Ihnen versichern: Die Einordnung und Vermessung der Nachrichtenwelt ist mitunter ein hartes Brot. Schließlich wollen täglich weit über 1000 Agenturmeldungen, einige hundert Mails sowie zahlreiche andere Info-Kanäle beobachtet, bewertet und redaktionell aufbereitet werden.
Zeichnen Journalisten ein falsches Bild der Welt? Müssen wir Journalisten unsere Filter bei der Wahrnehmung der Welt anders justieren? Müssen Geschichten immer auf einen Konflikt aufbauen? Diese Fragen stehen übrigens derzeit intensiv unter dem Stichwort „Constructive News“ im journalistischen Fokus und Diskurs. So hat die „Huffington Post“, die zweitgrößte Nachrichtenplattform der Welt, seit zwei Jahren eine eigene Rubrik für „gute Nachrichten“. Und diese „good news“ werden tatsächlich am häufigsten über soziale Netze weiterverbreitet.
Nicht von ungefähr veröffentlicht seit einiger Zeit ein Rundfunksender neben den stündlichen Nachrichten täglich ausdrücklich auch „gute Nachrichten“. Auch die MT-Nachrichtenredaktion wird das Thema künftig stärker beherzigen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Traue, stellv. Chefredakteur, Leiter Nachrichtenredaktion
ANTWORT DER LESERIN:
Von: Leseradresse
Gesendet: Mittwoch, 26. Februar 2014, 18:30
An: Thomas Traue (tom@mt-online.de)
Betreff: Re: Ihr Schreiben an MT-Redaktion
Sehr geehrter Herr Traue,
ich danke Ihnen sehr für Ihre ausführliche Stellungnahme zu meiner Anfrage „Verbesserungsvorschlag“ vom 23.1.2014.
Ich beglückwünsche Sie zu dieser umfangreichen, sachlichen Antwort, mit der mein Anliegen umfassend „erledigt“ ist.
Ich meine das in folgendem Sinne: Ich (wir, mein Mann und ich) erkennen an, dass kluge, kritische „Köpfe“ beim MT ihre journalistische Arbeit versehen!
Alles Gute für Ihre weitere Tätigkeit.
Mit freundlichem Gruß
Ingrid K.