Traditionelles Gericht zu Weihnachten und Silvester der Hit / Auch Kalbfleisch „bei die Fische“
Ganze 27 Jahre musste ich alt werden, bevor ich den besonderen Geschmack eines selbst gemachten Heringssalates auf einer Silvesterparty meines Onkel Eberhards in Hamburg voll zu schätzen lernte. Bis ich endlich selbst einen zubereitete, gingen weitere zehn Jahre ins Land.
Dass ich es im Jahr 2012 noch geschafft habe, verdanke ich einzig und allein Tante Inge aus Löhne, die auf meine Bitte nach einem vorweihnachtlichen „Heringssalat-Crashkurs“ spontan mit einem ehrlich begeisterten „Jawoll, klar, das machen wir!“ reagierte.
Das coolste am ganzen Heringssalat war für mich als etwa Vierjährige die Rote Bete. Nicht etwa weil sie mir damals so super geschmeckt hätte (Kinder stehen wohl in den seltensten Fällen auf den erdigen Geschmack von Roter Bete), sondern aus dem einfachen Grund, dass sie so herrlich knallrot war. Intensive Farben haben mich schon als kleines Mädchen stark fasziniert, und meine Mutter war wenig begeistert, als sie feststellte, dass ihre Tochter den frisch eingekauften Heringssalat mit einem Holzkochlöffel und großer Hingabe an ihre Puppen und Teddybären „verfüttert“ und ihnen dabei gleichmäßig rosafarbene Schnurrbärte verpasst hatte.
Als junge Erwachsene kaufte ich mir eines Tages spontan eine bunt karierte Jacke in den wildesten Farben, die ich später nur noch als „meine Heringssalat-Jacke“ bezeichnete. Wenn ich sie trug, hätte ich mich getrost und ausgiebig mit Heringssalat bekleckern können, ohne dass irgendjemand Anstoß daran genommen hätte – „Ton in Ton“ eben!
Auch in meinen Lieblingsbüchern von Astrid Lindgren kamen Heringssalate vor: „Mutters Tränen fallen in den Heringssalat, aber auf den Tisch kommt er genau wie die anderen guten Sachen“, heißt es bei „Michel von Lönneberga“, als er auf dem Katthult-Hof mal wieder für Aufsehen sorgt. Derselbe schwedische Junge ist es auch, der das von Alma Svensson mit Liebe zubereitete Fischgericht am Weihnachtstage zu einem spontanen Festessen ins Armenhaus verschleppt – eine sympathische Geste.
Heringssalat ist eben eine Delikatesse – aber nicht jeder. Den himmelweiten Unterschied zwischen einem gekauften und einem selbst fabrizierten Heringssalat begriff ich schlagartig auf einer Silvester-Party in Hamburg. Gastgeber war mein Onkel, der schon Tage vorher am Telefon vom „fantastischen Heringssalat“ seiner Freundin schwärmte – allein der sei ein Grund alles stehen und liegen zu lassen und sofort vorbeizukommen. Er versprach nicht zu viel, denn noch heute habe ich diesen Salat in bester Erinnerung. Doch was da im Einzelnen in der Schüssel drin war, blieb mir – unter einem dichten Mantel von Mayonnaise und Roter Beete – weiterhin verborgen.
Als mir mein Mann im vergangenen Jahr erzählte, dass seine Tante Inge zu Silvester immer „soooo leckeren“ selbst gemachten Heringssalat für alle vorbereitete, war ich voller Vorfreude. Nachdem ich ihn gekostet hatte, nahm ich mir vor, mir unbedingt mal das Rezept geben zu lassen – und dabei blieb es. Wie schön, dass ich in diesem Jahr, kurz vor Weihnachten, endlich in Tante Inges gemütlicher Küche landete und unter ihrer liebevollen Aufsicht beharrlich Hering, Kartoffeln, Gewürzgurken, Eier, Rote Beete und Zwiebeln schnippelte. Den Kalbsbraten (ich wäre nie darauf gekommen, dass welcher hineingehört) hatte Tante Inge bereits in mundgerechten Stückchen bereitgelegt.
Sie berichtete mit einem Lächeln, dass Jutta und Karin – ihre beiden Töchter, die zu Weihnachten zu Besuch kamen – für selbst gemachten Heringssalat ebenfalls „ihr Leben lassen“ würden. Vielleicht liegt das Geheimnis eines guten Heringssalates ja darin, dass man sich beim exzessiven Schnippeln der Zutaten gegenseitig lange Geschichten erzählt.
Tja, im Jahr 2013 bin ich dann wohl selbst damit dran, einen Heringssalat für meine Lieben zu zaubern. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht alles dafür stehen und liegen lassen, um dieser eventuell etwas eigenartigen Heringssalat-Neuschöpfung à la Frederike zu entkommen. Zum Glück: Anbrennen kann ja nichts!
Frederike Horstmann
Heringssalat
Zutaten (für 12 Personen):
500 Gramm Matjesfilets (oder Bismarckheringe)
500 Gramm Kartoffeln
500 Gramm Rote Bete
400 Gramm geschälte Äpfel
400 Gramm Eier
250 Gramm Kalbsbraten oder Rinderbraten
350 Gramm Gewürzgurken
eine kleine Zwiebel
etwas Rote-Bete-Saft
ein kleines Glas Mayonnaise
zwei Esslöffel Essig
zwei Esslöffel Salatöl
ein gestrichener Teelöffel Zucker
etwas Salz, Pfeffer und Paprika edelsüß
ein Hauch von Muskatnuss
Zubereitung:
Matjesfilets, Kartoffeln, Rote Beete, geschälte Äpfel, Eier, Kalbsbraten, Gewürzgurken und die Zwiebel in kleine Würfel schneiden (Tipp: Ein Eischneider eignet sich auch für das Würfeln von Äpfeln und Kartoffeln unerwartet gut).
Alle Zutaten in eine große Schale geben. Mayonnaise, Öl und Rote Beete-Saft hinzufügen und alles gut vermischen.
Den Salat mit Essig, Salz, Pfeffer, Zucker, Muskatnuss und Paprika abschmecken und zum Schluss mit Eiern und Petersilie garnieren.
Am besten mit einem frischen Stück Weißbrot oder Pellkartoffeln genießen.