Wer den Mund zu voll nimmt, wird zu übler Untätigkeit verdammt
Zu den Ungerechtigkeiten der menschlichen Existenz gehören frühzeitige Etikettierungen, die man zeitlebens nicht mehr loswird. So gilt mancher bereits als Torten-Junkie, bloß weil er zum Kaffee nicht nur ein, zwei Stück verzehrt, sondern vielleicht viermal nachnimmt. Als wäre das eine Nachricht.
Ähnliches widerfährt mir gefühlt seit Mitte des vorigen Jahrhunderts. Sobald in der Redaktion Kuchen steht, eilen die Kollegen herbei, um sich zu bevorraten, weil sie befürchten, dass „der Haunhorst“ zuvorkommt. Bereits vormittags werden halbe Kühlschränke gefüllt mit Sahneteilen, die dann erst nachmittags verzehrt wird.
Mir fehlt dafür jedwedes Verständnis. Sobald der Kuchen auf dem Teller ist, gehört er bei Zimmertemperatur einverleibt. Ich habe noch nie eine Torte sagen hören: „Schneid mich an und stell mich kalt!“
Bloß keine Cocktailkirsche!
Die eigene Kuchenkarriere begann mit einer denkwürdigen Niederlage und ist somit nicht untypisch für eine Laufbahn, die man eines fernen Tages vielleicht als gelungen bezeichnen wird. Im Sommer 1975 servierte meine Tante anlässlich der Taufe meiner Cousine vier mächtige Torten. Erdbeerkuchen war dabei, wahrscheinlich auch Schwarzwälder Kirschtorte, genau lässt sich das nicht mehr sagen. Hingegen versichern mehrere Zeugen, dass ich auf die Frage, welches Stück ich denn essen möchte, den Mund für einen knapp Zehnjährigen recht voll nahm und siegesgewiss verkündete: „Von allem etwas.“
Nun stellen vier Portionen für den Magen eines vorlauten Grundschülers keine unüberwindbare Hürde dar. Jedoch schienen ausgerechnet meine Stücke breiter zu sein als jene nachgerade niedlichen Teilchen, die an den anderen Plätzen unseres Kindertisches serviert wurden. Wollten die Gastgeber – eine Lehrerfamilie – an diesem präpubertierenden Bürschchen ein pädagogisches Exempel statuieren und aufzeigen, was geschehen kann, wenn man den Hals nicht voll kriegt und aus dem gemütlichen Miteinander ein ungesundes Wettessen, gleichsam eine Tortenschlacht machen möchte?
Bis einschließlich Kuchenstück Nummer 3 ging alles gut. Mit Nummer 4 jedoch setzte schlag(sahnen)artig das Sättigungsgefühl ein. Ich kaute auf der Torte rum, als hätte ich Leder im Mund. Aufgeben kam nicht infrage. Als der Teller endlich leer war und ich auf Bewunderung wartete, folgte Ernüchterung: Ein Onkel ließ sich genüsslich ein Stück Erdbeerkuchen aufladen, grinste mich an und verkündete stolz, das sei seine Nummer fünf.
Der Übelkeit geschuldet folgte stundenlange Untätigkeit. Während die anderen Kinder tobten, konzentrierte ich mich beim Blick auf eine bunt gemusterte Siebzigerjahretapete darauf, den Kuchen nicht in umgekehrter Reihenfolge seines Verzehrs wieder von mir zu geben. Das alles hätte sich aushalten lassen, wenn dieser Nachmittag nicht eine Niederlage gewesen wäre. Ich hatte verloren: 4:5 nach Verlängerung.
Die Übelkeit ging vorüber, der Appetit auf Kuchen blieb. Die fruchtig-alkohollastige Schokosahnemischung der Schwarzwälder Kirschtorte zählt zu den Favoriten – ohne Cocktailkirsche! Das abgebildete Exemplar, ein eher kleines Modell, wurde übrigens fast im Alleingang vertilgt. Bereits zur Halbzeit führte ich 4:1. Ich hatte allerdings auch keine echte Gegnerin: Meine Frau steht nicht auf Kuchen.
Dirk Haunhorst, Lokalredaktion
Schwarzwälder Kirschtorte
Zutaten für den Boden: 100 Gramm (g) Zartbitterschokolade, jeweils 150 g Butter und Zucker, vier Eier, jeweils 50 g gemahlene Mandeln, Mehl, Speisestärke und Semmelbrösel, ein Päckchen Backpulver, ein Esslöffel Vanillezucker.
Zutaten für die Füllung: 125 g Johannisbeergelee, 200 g Sauerkirschen, 750 ml Sahne, mehrere Esslöffel Schwarzwälder Kirschwasser (nach Geschmack), Schokoraspeln
Zubereitung: Etwas Schokolade abraspeln, den Rest schmelzen und mit Butter, Zucker und Vanillezucker schaumig rühren.
Die Eier trennen. Eigelb und die geschmolzene Schokolade unter die Buttermasse rühren. Mandeln mit Mehl, Speisestärke, Semmelbröseln und Backpulver mischen. Eiweiß steif schlagen und mit der Mehlmischung unter die Masse ziehen.
Backofen auf 180 Grad vorheizen und Springform einfetten. Teig einfüllen und 45 Minuten backen, über Nacht stehen lassen.
Tortenboden zweimal durchschneiden.
Den unteren Boden mit Gelee bestreichen und ein Drittel der steifen Sahne auftragen, darauf die Kirschen legen.
Den zweiten Boden auflegen, mit Kirschwasser tränken und Sahne auftragen. Dritten Boden auflegen, mit Sahne Schokoraspeln und Kirschen versehen.