Ist die Welt noch zu retten? Einig sind sich Katja Sonntag, Stefan Straube-Neumann und Hartmut Damke da nicht. Wenn sie sich die weltweiten Krisen anschauen, dann haben sie durchaus ihre Zweifel. Aufgeben wollen sie trotzdem nicht und mit dem Mindener Weltladen ihren Beitrag zu einer guten Zukunft leisten.
Früher hieß das Welthaus in Minden Dritte-Welt-Laden. Ist der Terminus Dritte Welt noch angemessen angesichts des Ziels, dass möglichst alle Menschen gut in einer Welt leben sollten?
Straube-Neumann: Eine solche Welt ist das Ziel, ja. Aber es gibt nun einmal eine reiche, eine arme und eine Welt dazwischen. Alles andere ist Augenwischerei. Eigentlich gibt es sogar noch eine vierte Welt, in der Menschen am Verhungern sind. Insofern empfinde ich die Einteilung der Welt in mehrere Welten als sinnvoll. Der Begriff entschleiert unseren westlich geprägten Blick auf unsere moderne Welt, in der man softie und glitzernd scheinbar alles schick erleben kann.
Selbst wer keinen Wert auf Glitzerndes legt, hat es schwer, mit seinem Handeln nicht doch negativ Einfluss zu nehmen auf Menschen in anderen Teilen der Welt oder die Welt insgesamt. Unsere Kleidung produzieren Menschen in Bangladesch, anschließend transportieren Schiffe und Flugzeuge die Textilien um die halbe Welt.
Straube-Neumann: Niemand kann sich mehr umfänglich politisch korrekt verhalten, ohne dass dieses Leben ein Vollzeitjob wäre.
Eben. Ist insofern nicht ohnehin alles egal: Politisch korrekt geht eh nicht, also was soll’s?
Sonntag: Eine solche Haltung ist doch keine Alternative. Jeder kann kleine, sinnvolle Schritte gehen und es gibt viele Leute, die sich wünschen etwas anders zu machen. Viele aus der jungen Generation wollen anders leben und sie werden Wege entwickeln, die wir heute vielleicht noch gar nicht denken können.
Damke: Ja, es gibt einen individuellen Weg, aber diese Wege müssen auch in politische Regelungen münden und zwar möglichst global. Denkanstöße finden oft aus dem Individuellen ihren Weg in die Breite. Aber die Politik darf dieses Themenfeld nicht Einzelnen überlassen. Menschenrechte müssen beispielsweise im Textilbereich einklagbar sein und internationale Gesetze müssen eine Bestrafung ermöglichen, sodass Unternehmen mit einem Missstand wie der Kinderarbeit nicht durchkommen. Andere Möglichkeiten wären eine Steuersenkung für fairen Kaffee oder Steuern auf Plastik. Es gibt viele Steuerungsmöglichkeiten für die Politik.
Das alles sind Themen, die Leute wie Sie schon vor 30 Jahren auf dem Schirm hatten.
Straube-Neumann: Als zivilgesellschaftliche Initiative sind wir dafür früher belächelt worden. Das hat sich geändert. Wir werden gehört, werden ernst genommen, können politisch Druck aufbauen. Wir sind keine Leisetreter und auch kein bloßes Feigenblatt mehr. Es sind Dinge möglich geworden, die vor 30 Jahren undenkbar gewesen wären.
Hört sich gut an, aber wer sich Themen wie Ressourcenverbrauch und Klimawandel nüchtern anschaut, hat nicht den Eindruck, dass die Welt auf dem Weg in eine Zukunft unendlicher Hoffnung ist.
Straube-Neumann: Was die Welt insgesamt angeht, bin ich selbst pessimistisch. Alles, was wir jetzt an Fluchtbewegungen sehen, wird im Kontext der angesprochenen Phänomene ins Unendliche wachsen. Wir haben nur diese eine Welt. Wenn wir so weitermachen wie bisher, bräuchten wir mehrere Erden.
Sonntag: Trotzdem glaube ich an die Menschen. Hoffnung setze ich in den technischen Fortschritt. Dass Lösungen entwickelt werden. Eines Tages wird es vielleicht möglich sein, alle Menschen zu ernähren und das Klima trotzdem nicht weiter zu zerstören. Klar werden wir Ressourcen schonen und weniger konsumieren müssen. Aber es gibt genug Gründe für uns, nicht aufzugeben. Wer Prioritäten setzt und sich fragt, was er oder sie braucht und was nicht, der gewinnt Freiheit. Kein neues Auto vor der Tür stehen zu haben, ist doch kein Verzicht. Tiefe Beziehungen innerhalb der Familie und zu Freunden zu haben, darauf kommt es an.
Damke: Die Menschen sehen und wissen viel, aber sie handeln nicht danach. Die Jugendlichen wissen genau, was los ist, aber sie schleppen die Tüten trotzdem aus dem Billig-Kleidungsladen raus. Wenn nicht mehr Leute handeln, dann können wir uns tausend kritische Fernsehsendungen ansehen, aber ändern wird sich nichts.
Wenn die Mehrheit der Menschen etwas ändern wollte, müsste der Mindener Weltladen ja vor Kunden aus allen Nähten platzen, oder?
Damke: Wir haben aber überwiegend Stammkundschaft, der Umsatz ist über die Jahre konstant geblieben.
Dafür gibt es immer mehr Produkte mit Fairtrade-Siegel in Supermärkten. Finden Sie gut, dass das Siegel den Sprung in den Massenmarkt geschafft hat und keine Sache nur von Weltläden mehr ist?
Straube-Neumann: Wir sind das Original, aber wir haben nichts gegen fairen Handel im Supermarkt, im Gegenteil. Allerdings bekommen das Siegel schon Produkte, die einen Anteil von 21 Prozent aus fairem Handel enthalten. Die Schwelle, das Siegel zu bekommen, ist also recht niedrig. Das ist nicht unsere Welt und das sieht die Weltladen-Bewegung kritisch. Trotzdem haben die Kleinbauern natürlich etwas von der Entwicklung hin zu mehr Fairtrade-Produkten. Insofern ist es wünschenswert, wenn es immer mehr Fairtrade-Produkte gibt – so oder so.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar zum Thema „Von Fairtrade und Co.“: Die Weltretter auf MT.de
Von Benjamin Piel, Chefredakteur