Hierzulande wird mittlerweise von „traditionellen Oktoberfesten“ gesprochen. Ja, traditionell getrunken – passender wäre ein derberer Kraftausdruck -, wird auch hier, aber eigentlich nicht im Oktober. Mehr bei Feuerwehr- und Schützenvereinsfesten von Mai bis August. Oktoberfest? Das ist eher was für Seppl, Alois und Touristen aus Tokio und Texas.
Zumal im Gefolge dieses Münchner Wiesn-Biers, das wohl so wässrig ist, dass man es literweise trinken muss, um Wirkung zu spüren (außer in der Harnblase), eine Unsitte in unsere Gefilde strömt, die wir nicht kennen.
Wie anders lässt sich die Nachricht aus Bavaria interpretieren, dass es dort einen sogenannten Bierinspektor gibt. Nein, das ist kein Posten für Vereinsfeste und andere massive Trinkgelegenheiten. Bewerbungen zwecklos.
Es ist ein kleines Computerprogramm, eine sogenannte App (gesprochen Äpp), und man möchte angesichts der Skurrilität dieser PC-Anwendung schon an eine Ver-äpp-elung glauben. Aber es ist wahr: Dieses Computerprogramm misst den Flüssigkeitsstand im Maßkrug.
Nun weiß man endlich, warum echte bayrische Trinkgefäße nicht durchsichtig sind. Obwohl die Toleranzgrenze beim Einschenken schon auf 0,9 Liter gelegt wurde, also minus zehn Prozent (fast ein Euro „Nicht-Trinkgeld“) gebe es Maßkrüge, die abzüglich Schaum nur mit 0,7 bzw. 0,8 Litern des Gerstensaftes gefüllt seien. Das hat der „Vorsitzende des Vereins gegen betrügerisches Einschenken“ festgestellt. Bezeichnenderweise hat der Verein seinen Sitz in München. Und ironischerweise gehören ihm Politiker wie Edmund Stoiber (CSU), Christan Ude (SPD) an.
Was bedeutet das für uns Westfalen, die neben der Reinheit des Bieres die Durchsichtigkeit der Gläser und die gerade Linie des Eichstrichs schätzen? Es bedeutet drohendes Unheil, Verrohung der Trinksitten, Untergang des westfälischen Abendlandes!
Denn es könnte passieren, dass nicht nur auf den anstehenden Oktoberfest-Nachahmungen – wo das noch verzeihbar wäre – sondern auch auf Feuerwehr-, Schützen- und anderen Vereinsfesten Gäste ihren Bierinspektor zücken, ihren mitgebrachten Laptop aufschlagen und prüfen, ob im hierzulande entgegen bayrischen Über-Maßen üblichen 0,2 Liter-Glas auch 0,2 Liter Fest-Bier drin ist. Und wenn sie dann hämisch lächelnd nach dem Festwirt schreien, wissen wir: Die Bayern sind da.
In diesem Sinne: ein schönes Wochenende!
Hartmut Nolte