Als Angehöriger der Generation 50-plus habe ich mir geschworen, noch lange zu warten, bis ich damit beginne, nur noch in Erinnerungen zu schwelgen. Ganz nach der Art: Ach, war das schön, als wir noch vor dem Kohleofen saßen. Oder: Weißt Du noch, damals, die erste Pizza.
Ein einschneidendes Erlebnis aber hat dazu geführt, dass ich diesen Schwur gebrochen habe.
Es war beim Frühstück im Café. Während ich sonst bei solchen Angelegenheiten immer nur Augen für meine liebe Frau habe (das gibt jetzt wieder einen ehelichen Pluspunkt für mich), konnte ich mich an diesem Tag einfach nicht auf meine Holde konzentrieren. Immer wieder musste ich zum Nachbartisch blicken.
Ich beobachtete einen jungen Mann, der ständig an etwas sog, was wie ein Kugelschreiber aussah. Zwischendurch tröpfelte er noch aus kleinen Flaschen eine klare Flüssigkeit in das Schreibgerät, um dann wieder daran zu ziehen.
Auf die Frage meiner Liebsten, was mich so ablenke, verwies ich auf jenes seltsame Verhalten: „Da raucht einer Kugelschreiber.“ Es dauerte nur eine gefühlte Hundertstelsekunde, dass meine Frau zu dem jungen Mann blickte, mich dann ansah und feststellte: „Hast Du noch nichts von den neuen elektrischen Zigaretten gehört?“
Elektrische Zigarette! Jetzt ist sogar die Kultur des Rauchens im Eimer, beschloss ich, der als militanter Nichtraucher verschrien ist, gewisse Sympathien für richtig qualmende Artgenossen zu empfinden. Vorbei die Zeit als echte Männer in der Prärie sich abends verschwitzt und staubig am Lagerfeuer niederließen, um im roten Licht der untergehenden Sonne die letzte Zigarette des Tages zu genießen.
Während ich so in Erinnerungen schwelgte, malte ich mir aus, wie der Marlboro-Mann des 21. Jahrhunderts den Abend beschließt – quasi: Rauchen 2.0. Er steigt aus seinem voll klimatisierten Geländewagen, stellt den Flachbildfernseher an, auf dem in High Definition ein Lagerfeuer flackert. Aus der 5.1-Dolby-Surroundanlage ist das Knistern des brennenden Holzes zu hören.
Er greift auf seinem Sessel mit Massagefunktion liegend locker in seine Hemdentasche, zieht einen „Kugelschreiber“ heraus, drückt auf einen kleinen Knopf und eine tief orange leuchtende LED glimmt auf. Dann nimmt er einen Zug aus seiner elektrischen Zigarette, knipst die Sonne aus und schlägt vorsichtig die nicht vorhandene Asche von seinem Kugelschreiber in den virtuellen Aschenbecher, der auf dem Display seines Flachcomputers zu sehen ist.
Ach, was waren das schöne Zeiten. Damals.
In diesem Sinne: ein schönes Wochenende!
HANS-JÜRGEN AMTAGE