Ehe- und Lebensberaterin Annett Speel (links) und die Seelsorgerin Gabriele Bleichroth beraten in Minden Paare und Einzelpersonen. MT-Foto: Benjamin Piel
In guten wie in schlechten Zeiten, das haben sich manche Paare in der Kirche geschworen. Doch wenn die schlechten Zeiten dann kommen, reichen die Schwüre oft nicht. Die sichere Rettung, das können die vier Mindener Beraterinnen des Vereins Ehe- und Lebensberatung nicht sein. Aber sie möchten sich mit Paaren und Einzelpersonen auf den Weg machen, Wege aus der Krise zu finden.Keine Institution trägt denVerein, sodass die Finanzierung immer auf der Kippe stehe, sagen die Ehe- und Lebensberaterin AnnettSpeel und die Seelsorgerin Gabriele Bleichroth.
Es gibt das Klischee, dass Frauen in eine Eheberatung möchten und ihre widerwilligen Männer dorthin tragen müssen. Stimmt das so noch?
Annett Speel: Nein, da hat sich einiges gewandelt. Die Schwelle in eine Beratung zu gehen ist unter anderem durch Medienberichte niedriger geworden. Heute glauben viele, dass es hilfreich sein könnte„mal mit einem Außenstehenden zu reden“,wie viele das formulieren. Inzwischen kommen teilweise mehr Männer als Frauen, auch in die Einzelberatung. Viele Männer haben kapiert, dass es sich durchaus lohnt, über Gefühle zu reden und nicht so tun, als habe man das nicht nötig. Es kommen auch mal Vater und Sohn, die einen Moderator brauchen, der übersetzt, was zwischen den beiden nicht mehr ankommt.
Bei den Beziehungsproblemen, gibt es da die typischen Klassiker, die Ihnen in Ihrer Arbeit immer wieder begegnen?
Annett Speel: Es gibt zum Beispiel junge Paare,die ihr zweites Kind bekommen und ein Haus gebaut haben, der Beruf stresst, die Situation ist überfordernd. Die sind dann manchmal völlig am Ende, der Partner wird zum Ventil der Probleme. Alles, was man am anderen mal so attraktiv gefunden hat, scheint weg zu sein.
Gabriele Bleichroth: Was übrigens auch damit zu tun hat, dass heute ein großer Erwartungsdruck herrscht. Man soll gut aussehen, beruflich erfolgreich, aktiv in der Freizeit sein und so weiter. Diese Erwartungen machen es natürlich auch für eine Beziehung nicht einfacher.
Dass die Kinder eine andere Rolle haben als früher auch nicht.
Annett Speel: Auch das. Kinder haben mehr Macht in Familien als früher. Damals liefen die Kinder eher nebenher mit, heute stehen sie oft sehr im Zentrum. Viele Eltern müssen sich heute viel mehr damit auseinandersetzen, dass Regeln helfen können. Auch dass die Männer sich sehr viel stärker an der Erziehung beteiligen möchten, bringt ganz andere Probleme mit sich als früher. Damals war die Situation zwar oft unbefriedigender für die Frauen, aber in gewisser Weise auch einfacher.
Was wäre eine weitere typische Krisensituation in Beziehungen?
Annett Speel: Das sogenannte Empty.Nest-Syndrome. Die Kinder sind aus dem Haus, Paare, die immer viel zu tun hatten, fühlen sich dann manchmal leer. Und einige Menschen wollen sich in der zweiten Lebensphase neu orientieren, noch einmal durchstarten, was zu Spannungen mit dem Partner führen kann.
Gabriele Bleichroth: Ein weiteres Thema, dass es immer häufiger gibt, sind Wochenendbeziehungen, weil immer mehr Menschen weiter entfernt arbeiten. Und schließlich gibt es Krisen wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit.
Was ist mit dem Faktor Zeit?
Annett Speel: Das ist ein großes Thema. Smartphones zum Beispiel haben eine sehr gute Seite, aber sie können auch kontrollierend und zeitfressend wirken. Der eine wartet auf ein Gespräch, der andere verdaddelt die Zeit. Außerdem passieren per moderner Kommunikationstechnik viele Missverständnisse. Über SMS und WhatsApp reden die Partner mitunter sehr aneinander vorbei.
Zum Glück gibt es nicht nur Probleme, sondern auch Lösungen.
Gabriele Bleichroth: Die Schwierigkeiten sind nicht alles, genau. Aus dem unübersehbaren Müllberg soll ja ein Lichtblick werden. Bei uns ist Sortieren angesagt. Hier wird nicht nur geweint. Manchmal ist der Raum voller negativer Energie, voller Wut. Aber dann schaffen es viele, sich zu lockern, die angenehmen und leichten Seiten am anderen wiederzuentdecken, zusammen zu lachen. Unsere Aufgabe ist nichts, was nur runterzieht, sondern hat bei aller Schwere etwas Bereicherndes.
Annette Speel: Paare merken hier auch, dass es Arbeitist, miteinander und an sich selbst zu arbeiten. Das ist anstrengend. Es läuft nicht so, dass wir die Lösung haben und dann ist alles gut. Unsere Aufgabe ist es zu unterstützen, dass sich die Menschen auf die Suche nach dem eigenen Weg machen.
300 Menschen sind im vergangenen Jahr zu Ihnen in die Beratung gekommen. Neben den Einzelberatungen zeigt das doch auch, dass wir nicht in einem Zeitalter der Beziehungslosigkeit leben, oder?
Gabriele Bleichroth: Partnerschaft hat noch immer einen sehr, sehr hohen Wert. Teilweise einen so hohen, dass er fast schon religiös überladen ist, was dann auch wieder schwierig ist, weil das eine Überforderung sein kann. Geborgenheit und Sinnhaftigkeit – diese Wert stehen hoch im Kurs.
Von Benjamin Piel, Chefredakteur