Koch und Berufsschullehrer Ralf Möller-Wickenkamp geht auf kulinarische Zeitreise / Viel geändert bei Geschmack und Ausbildung
Kindheit und Jugend, das sind für Ralf Möller-Wickenkamp Mett-Igel, Königsberger Klopse und der Sonntagsbraten mit Vor- und Nachspeise. Restaurantbesuche waren eher selten, umso mehr Entsetzen rief seine damalige Berufswahl hervor: „Haben Köche überhaupt 365 Tage im Jahr zu tun?“, war die große Sorge seiner Eltern.
Haben sie und besonders Möller-Wickenkamp, der mittlerweile 44 Jahre alt ist und nach Auskunft seiner Kollegin Sonja Lusmöller vom Leo-Sympher-Berufskolleg zu den besten seiner Zunft gehört. Das Löhner Restaurant, in dem er 20 Jahre arbeitete, kochte er sogar in den Michelin-Führer. Sein Wissen gibt er seit vier Jahren als Berufsschullehrer an Nachwuchs-Köche weiter.
Als der 16-jährige Ralf 1985 seine Ausbildung in der Großküche des Herforder Kreiskrankenhauses begann, „wurden Köche noch in der Küche versteckt“, erinnert er sich. Heute hingegen sei Koch ein In-Beruf. „Leute lernen ihn, weil sie Kochen im Fernsehen gesehen haben“, fügt seine Kollegin Lusmöller hinzu.
Viel hat sich seit 1985 in deutschen Haushalten und in den Ausbildungsküchen geändert. Die Technik sei besser als zu seiner Zeit, das Essen internationaler und anspruchsvoller. „Wir sind heute professioneller und merken es gar nicht“, sagt Möller-Wickenkamp.
„Schnell – heiß – gar“ waren die Schlagworte seiner Ausbildungszeit. Ob Vitamine erhalten blieben, sei egal gewesen. „Die Kunden sind heute anspruchsvoller.“ Das merke man auch an den Gerichten: Eine Weihnachtsgans gefüllt mit Äpfeln und Korinthen ist mittlerweile zu langweilig, Füllungen mit Gänseleber müssen es schon sein. Vielleicht liegt das auch an den verschiedenen kulinarischen Trends, die mit den Jahrzehnten kamen und gingen. Den deftigen Sonntagsbraten löste in den 1980ern die weite Welt auf dem Teller ab: Mediterrane Speisen waren sehr beliebt. Einige Trends sieht der Koch heute kritisch: „Manches wurde in den 80er Jahren asiatisch genannt. Aber erst heute kocht man es auch.“ Exotisch wurde es ein Jahrzehnt später: Die Molekularküche war in den 90er Jahren schwer angesagt – aber auch das ist vorbei.
Kochen in Zeit der Fixprodukte
Eine Kochausbildung stellt heute hohe Anforderungen. In Zeiten von Fixprodukten und Fertiggerichten müssen Lehrlinge oft die einfachsten Handgriffe erst lernen. „Manche können nicht einmal Kartoffeln schälen“, sagt Lusmöller. „Heute muss man ganzheitlich ausbilden, also auch soziale Kompetenzen vermitteln, die früher in der Familie beigebracht wurden“, meint Schulleiter Knut Engels.
Ralf Möller-Wickenkamp durfte sich zu Hause zuerst am Backen versuchen. „Da kann nicht so viel schief gehen“, erinnert er sich. In der Kochausbildung wird mit kalter Küche und Schnitttechniken gestartet. Ernährungslehre und Hygiene stehen in der Theorie an. „Früher war ein Braten nach Gefühl fertig. Heute muss die Temperatur vorher und nachher protokolliert werden“, nennt Möller-Wickenkamp Veränderungen in der Hygiene-Lehre. Im zweiten Ausbildungsjahr kommen Beilagen und einfache Gerichte dran, wie die Kindheitserinnerung Königsberger Klopse.
Koch-Unterricht müsse die Schule eigentlich gar nicht anbieten, denn der praktische Ausbildungsteil liege bei den Betrieben, so Engels. Doch die können gar nicht alles leisten, was der Lehrplan vorsieht: Krusten- und Schalentiere sind nicht unbedingt verbreitet in der regionalen Küche. Und so arbeiten viele Lehrlinge im Berufsschulunterricht das erste Mal mit diesen Zutaten. Heimische Firmen unterstützen mit ihren Gaben die Erfüllung der Ausbildungsordnung.
Letztlich sollen die Auszubildenden alleine ein Menü zusammenstellen können – in der Abschlussprüfung müssen sie neben der Aufgabe am Herd und Backofen auch die Kalkulation übernehmen und schriftlich ausarbeiten.
„Dann ist man aber noch nicht in der Lage, alleine zu arbeiten“, meint Ralf Möller-Wickenkamp. Kochen sei ein so weites Feld. „Ich habe 1994 meinen Meister gemacht, aber erst 1998 konnte ich kochen.“
Vieles hat sich seit seinen Lehrjahren verändert, aber einiges ist doch gleich geblieben: Kochen ist ein Knochenjob, den mehr Männer als Frauen ausüben. „Man muss hier Gewichte stemmen, in der Küche herrscht ein scharfer Ton“, erklärt Möller-Wickenkamp.
Für ihn ist und bleibt es ein Traumberuf: „Als würde ein Künstler ein Gemälde malen“, erklärt der 44-Jährige sein Kochgefühl. „Und man kann es sogar essen.“
Bis Weihnachten schwelgt in jeder Ausgabe ein MT-Redaktionsmitglied in kulinarischen Kindheitserinnerungen.
Von Doris Christoph