Oberstleutnant Ingo Prieß hat sich 32 Jahre lang unterschiedlichsten Verwendungen und Anforderungen in der Pioniertruppe der Bundeswehr gestellt. Als „lebensälterer“ Stabsoffizier kann er sich nun noch einmal einem ganz anderen Fachgebiet widmen: der Informationsarbeit. Hier schildert Ingo Prieß seine Erfahrungen, die er während eines Praktikums in der Lokalredaktion des MT sammeln konnte.
Mut zu Neuem
Das menschliche Gehirn ist grundsätzlich darauf ausgelegt, dass wir gerne an Vertrautem und Bewährtem festhalten. Neuem und Unbekanntem stehen wir zumeist skeptisch gegenüber, bisweilen bereitet es uns sogar Angst. Dies gilt wohl insbesondere auch bei einer beruflichen Neuorientierung – aus welchen Gründen auch immer – und erst recht in einem Alter, in dem man aus sozialwissenschaftlicher Sicht mit dem Begriff „Best Ager“ belegt ist.
Ich bin Berufssoldat im 33. Dienstjahr. Als Vorgesetzter in verschiedenen Führungsverwendungen trug ich ebenso Verantwortung für die mir unmittelbar anvertrauten Soldatinnen und Soldaten wie auch für die Erarbeitung, Mitprüfung oder Mitzeichnung von unzähligen Dokumenten im Rahmen diverser Stabsverwendungen. Ich habe u. a. an drei Auslandseinsätzen im Kosovo und Afghanistan teilgenommen und war im letzteren Fall nahezu ein Jahr lang einem afghanischen Partner-Offizier als Mentor und Berater zur Seite gestellt.
„Lifelong Learning“
Vor diesem Hintergrund eines durchaus reichen Erfahrungsschatzes befand ich mich zu Beginn des Jahres in einer Situation, in der Gedanken an eine „Endverwendung“ bzw. an das noch diffuse Gebilde einer Pensionierung („Nicht einmal mehr 10 Jahre!“) durchaus legitim erschienen. Dennoch bot sich mir vor einigen Monaten die Gelegenheit für eine berufliche Neuorientierung. Ich wich von meinem bisher „schnurgeraden“ Weg ab und erhielt die Möglichkeit, noch einmal etwas „völlig Neues“ zu machen. Anstatt in einem bisher sehr fachspezifischen Bereich weiterhin Verwendung zu finden, bot sich mir nun die Chance, eine Ausbildung im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu beginnen. Im Sinne des Begriffs „lebenslanges Lernen“ packte ich die Gelegenheit unverzüglich beim Schopfe und stelle mich zurzeit in Hannover beim Landeskommando Niedersachsen dieser neuen und interessanten Herausforderung. Die Ausbildung wird voraussichtlich Ende 2016 abgeschlossen sein.
Praktika unterschiedlicher Art
Neben der Erarbeitung und Erstellung von grundlegenden Anteilen der Informationsarbeit (Reportagen, Berichte etc.) und dem Sammeln von praktischer Erfahrung bei der Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen im Rahmen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit umfasst die Ausbildung zum Pressestabsoffizier auch zwei Lehrgänge am Zentrum für Informationsarbeit der Bundeswehr (ZInfoABw) in Strausberg bei Berlin. Als Voraussetzung für den Besuch dieser Lehrgänge ist die Teilnahme an 3 Praktika vorgesehen. Zwei Wochen müssen bei einem Printmedium absolviert werden, zwei weitere – jeweils von einer Woche Dauer – bei einem Radio- und Fernsehsender. Für mich lag es buchstäblich nahe, das erste Praktikum beim Mindener Tageblatt zu machen, da ich seit 1994 in Porta Westfalica wohne.
Einige wenige Mails mit der Redaktion sicherten mir rasch einen Praktikumsplatz und so fand ich mich am 2. November mit 51 Jahren im Verlagsstammhaus in der Obermarktstraße als der wohl älteste Praktikant ein, den das MT je hatte.
Jobtausch für zwei Wochen
Anstatt skeptische Blicke zu ernten, begegneten mir die Angehörigen der Redaktion mit einer gewissen „freundlichen Neugier“.
Ob ich dies meinem Status als „ältester Praktikant ever“ zu verdanken hatte, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls empfand ich die Aufnahme als besonders offen und herzlich. Zugegeben, der etwas abgegriffene Witz nach der Frage, warum gerade immer genau so viel in der Welt passiert, das es in den Umfang einer Tageszeitung passt, führte lediglich zu einer höflich-amüsierten Reaktion seitens der Angehörigen der Lokalredaktion.
Dennoch war es genau dieser Aspekt, der bei meinen persönlichen Überlegungen zum Inhalt des Praktikums hohe Priorität hatte. Am Ende wollte ich verstehen bzw. verstanden haben, wie Ereignisse, Vorhaben und Geschehnisse – egal ob persönliche oder öffentliche, ihren Weg in schriftlicher, grafischer oder fotodokumentarischer Form in ein Printmedium und dessen entsprechenden Online-Auftritt finden. Nebenbei bot sich natürlich die Möglichkeit eines beruflichen „Seitenwechsels“ – für einen vorwiegend mit einer hierarchisch aufgebauten Stabs-/Linienstruktur vertrauten Menschen eine durchaus willkommene Abwechslung.
Sachliche Kühle trifft auf Teamplayer
Großraumbüro mit 14 (Doppel-)Bildschirmarbeitsplätzen, dazu noch ein angrenzender Sekretariatsbereich mit zwei weiteren Mitarbeiterinnen – hell, modern und durchaus funktional eingerichtet. Dennoch umschleicht mich in meinem Kopf die Frage, wie unter diesen infrastrukturellen Bedingungen in den Redaktionsräumen des MT zielführend und effizient gearbeitet werden kann. Um es vorweg zu nehmen: es funktioniert, und zwar sehr gut.
Nicht, weil zu Beginn beinahe jeden neuen Tages (oder am Ende eines langen Arbeitstages?) ein neues Tageblatt als sichtbares Ergebnis der Anstrengungen in den jeweiligen Ressorts den Weg an den Frühstückstisch oder in die mediale Online-Welt gefunden hat, sondern weil hier eine relativ junge wie ebenso erfahrene Mannschaft deutlich spürbar als „Team“ an einem Strang zieht. „Stringente Strukturen“, in denen ein harscher Ton herrscht, mögen ein Markenzeichen sein, das man vorwiegend noch mit der Bundeswehr in Verbindung bringt. Dies ist jedoch das Bild der alten Bundeswehr, das sich, oft vom Hörensagen aus zweiter Hand, in vielen Köpfen manifestiert haben mag und oft noch zu finden ist.
Vieles hat sich inzwischen verändert, Gradlinigkeit und Schnörkellosigkeit sind jedoch immer noch unverzichtbare Elemente im militärischen Alltag. Dass jedoch eine „flache Hierarchie“, in der sich zwar viele duzen, aber auch der gebotene Respekt von jüngeren „Vorgesetzten“ lebensälteren Redakteuren gegenüber aufgebracht wird, diesen wichtigen funktionalen Prinzipien nicht entgegen stehen muss, zeigt die Arbeit der Mitarbeiter in der MT-Redaktion.
Immer dicht am Geschehen
Informationen unterschiedlichster Art fließen von außen ein, Meldungen, Reportagen, Berichte, Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern – ebenso aufgebrachte wie besorgte -, telefonische Nachfragen und Online-Recherche: all dies läuft an den Arbeitsplätzen der Redakteure auf oder wird von diesen gesichtet, bearbeitet oder gesteuert. Kollegen und Kolleginnen suchen das gegenseitige Gespräch, verschwinden zwischendurch und kehren nach mehr oder weniger kurzer Zeit nach der Wahrnehmung von „Außenmissionen“ zurück. Gegenseitige Anfragen, ob angesichts von Terminüberschneidungen das eine oder andere ersatzweise von einem Redakteur im Rahmen freier Kapazitäten wahrgenommen werden könnte, sind an der Tagesordnung. Man hilft sich, ohne Zweifel.
Zwischendurch finden Besprechungen statt, in denen Nachbetrachtungen durchgeführt oder Ideen und Eckpunkte für längerfristige Serien oder Beiträge gesammelt werden.
Die Redakteure, egal welchen Ressorts, sind das „Lebenselixier“ der Zeitung. Zusammen mit externen Mitarbeitern verleihen sie ihr Inhalt, bestimmen mit ihren Beiträgen und manchmal aufwändigen und zeitintensiven Recherchen maßgeblich die Qualität.
„Es hört nichts auf zu passieren“ ist das beherrschende Motto, dabei geht „Tiefe“ durchaus oft vor „Breite“. Nicht umsonst taucht beim Schreiben von Artikeln auf der Bildschirmoberfläche der Redakteure der Button WYSIWYG auf.
Hinter diesem Akronym steht der Grundgedanke „What You See Is What You Get“ (englisch für „Was du siehst, ist [das,] was du bekommst.“). Er kann bei der Gestaltung einer Zeitung durchaus doppeldeutig ausgelegt werden: das Ergebnis ist nur so gut wie es engagierter Journalismus und dessen Input vorgeben. Dabei täglich eine gute Zeitung abzuliefern – dieser Antrieb der Arbeit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist aus meiner Sicht deutlich spürbar.
Koordination der Ressorts am „Desk“ Alles fließt beim „Newsdesk“ zusammen, der „Operationszentrale“. Dabei handelt es sich um eine Organisationsform von Zeitungsredaktionen, die beim MT seit dem gestalterischen Neuauftritt im Jahr 2014 Anwendung findet. Hier sitzen die verschiedenen Ressorts an einem gemeinsamen Tisch, legen die Themen und Nachrichten fest und platzieren sie auf den im Entstehen befindlichen Seiten der Print- und Onlineausgabe.
„Mediales Flaschenhalsprinzip at its best“ – so ließe sich dieser Ablauf wohl am besten beschreiben. Zu Beginn der Nachmittagskonferenz steht bereits das „neue“ MT des Folgetages in seinen Grundzügen, zunächst noch mit vielen Platzhaltern, selbstverständlich mittels moderner Technik auf Großbildschirmen präsentiert. Irgendwie ist es für mich auch wie ein kleiner Blick in die Zukunft von Morgen – geradezu buchstäblich. Die Aussagen einiger Mitarbeiter, z. B. „Hier benötige ich noch etwas Zeit“ oder „Noch keine Vorstellung, wie wir den Bereich füllen“, beunruhigt wenige Stunden vor dem Anlauf des Drucks niemanden, nicht einmal den Chefredakteur.
Seine Anmerkungen werden aufgenommen und, soweit möglich, auf der Basis des Online-gestützten Redaktionssystems zur Gestaltung der Zeitung noch während der Konferenz umgesetzt. Während eine Stabsbesprechung „beim Bund“ mit einem teilweise ähnlich offenen und nebulösen Ergebnis den Blutdruck des einen oder anderen Teilnehmers in ungeahnte Höhen getrieben hätte, geht in den Redaktionsräumen die Arbeit unspektakulär, aber umso konzentrierter weiter. „In meinen über 30 Jahren in der Redaktion kann ich mich an keinen Tag erinnern, an dem wir am Ende nicht alle Seiten gefüllt hätten“, so ein „alter Hase“ aus der Redaktion. Denn früher oder später wird am Trippeldamm die Maschinerie zum Druck der aktuellen Ausgabe, die den Leser in gewohnt umfangreicher und umfassender Weise informiert, anlaufen. Dann liegt es morgens wieder da, „das MT“, aufgelegt in 30.000 Exemplaren, verlässlich zugestellt im Briefkasten, beim Bäcker auf der Verkaufstheke oder auch Online, also permanent aktualisiert „im Netz“. Nun kann wieder drauflos gelesen, überflogen, oder eingehend studiert werden.
Von der Stabsarbeit in den Redaktionsalltag
„Gar nicht so unterschiedlich“ – so würde ich am Ende meines „Jobwechsels“ resümieren. Es tat gut, einmal aus dem täglichen Dienstbetrieb heraus zu kommen, um neue Eindrücke zu sammeln. Schnelligkeit, Flexibilität, Aktualität und Innovationsbereitschaft sind die wesentlichen Faktoren, die zum Gelingen einer guten (Lokal)Zeitung beitragen. Ihnen sieht sich natürlich auch die Bundeswehr ausgesetzt, derzeit sehr konkret im Bereich der Flüchtlingshilfe, wo eine hohe Anzahl von Bundeswehrangehörigen bei der Unterbringung und Versorgung unterstützt. Der Ansatz, dass der Mensch stets im Mittelpunkt stehe, ist nicht nur eine Leitlinie, den sich die Bundeswehr beim Personalwesen oder unter dem Begriff „Fürsorge“ im Umgang mit den Soldatinnen und Soldaten auf die Fahnen geschrieben hat. In den Redaktionsräumen des MT hatte ich den Eindruck, dass diese Prämisse, im Vergleich betrachtet, am ehesten eine Gemeinsamkeit darstellt. Denn ohne Engagement, aber auch ohne den notwendigen Freiraum, der den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines Betriebes eingeräumt werden muss, kann aus meiner Sicht am Ende kein authentisches Ergebnis stehen.
Zweifellos kann ich am Ende meines Praktikums aber auch festhalten, dass für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MT ein ganz besonderer Personenkreis im Mittelpunkt steht: die Leserinnen und Leser.
Morgen früh schlage ich gern wieder das MT auf.