Die unendliche Fülle der zur Verfügung stehenden Informationen führt in Teilen der Gesellschaft zu einer Informationsillusion. Das erklärte die Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD), Professor Dr. Renate Köcher, beim Jahreskongress des BDZV in Stuttgart. Die Meinungsforscherin warnte vor den gesellschaftlichen Auswirkungen: „Eine sinnvolle Selektion aus der Überfülle und eine disziplinierte Organisation des eigenen Informationsverhaltens sind Herausforderungen, die teilweise zu einer neuen Spaltung der Gesellschaft führen – nämlich in diejenigen, die von dem breiteren Informationsangebot profitieren und tatsächlich besser informiert sind, und in diejenigen, denen es schwerfällt, ihre Information in dieser Überfülle und Schnelligkeit des Angebotes sinnvoll zu organisieren.“
Köcher erläuterte anhand ihrer im Auftrag des BDZV angefertigten Studie mit dem Titel „Die informierte Gesellschaft – Fakt oder Illusion?“, dass die Fülle der verfügbaren Informationen zu einer schärferen Selektion führe, andererseits ein guter Informationsstand oft definiert werde als „auf dem Laufenden sein, wissen, was gerade passiert“. Dabei gehe es jedoch nicht um ein tieferes Verständnis der Ereignisse, ihrer Ursachen und Konsequenzen. 52 Prozent der Bevölkerung informierten, wie die Untersuchung ergeben habe, mehrmals täglich über die neuesten Nachrichten; 42 Prozent präferierten knappe und kurze Informationen; nur 31 Prozent legten großen Wert darauf, sich gründlich zu informieren. Jeder Zweite halte 15 bis maximal 30 Minuten oder weniger täglich für ausreichend, um einen guten Informationsstand zu sichern.
Große Mehrheit fühlt sich besser informiert als früher
Laut Studie ist die große Mehrheit der Bürger Deutschlands subjektiv davon überzeugt, dass der Informationsstand heute generell höher ist als vor Einführung des Internets. Mit Blick auf das eigene Wissen ziehe die überwältigende Mehrheit sogar eine ausgesprochen positive Bilanz, führte Köcher aus. 72 Prozent stuften sich in Bezug auf das aktuelle Geschehen als gut informiert ein. Vor diesem Hintergrund liege die Frage nahe, „ob die stete Konfrontation mit einem schier unerschöpflichen Informationsangebot nicht nur zu einem höheren Informationsstand führt, sondern teilweise auch zu einer Informationsillusion?“.
Diese Vermutung werde in der Studie partiell bestätigt, erklärte die Meinungsforscherin, denn schon konkretere Nachfragen, bei welchen Themen man sich denn gut informiert fühle, führten zu einer wesentlich bescheideneren Bilanz: Stehe etwa abstrakt das weltweite Geschehen zur Diskussion, stuften sich 61 Prozent der gesamten Bevölkerung als gut informiert ein. Jede Konkretisierung reduziere diese Selbstbeinschätzung jedoch drastisch. So seien beispielsweise nur 29 Prozent der Befragten überzeugt, dass sie auch in Bezug auf aktuelle Entwicklungen im Zusammenhang mit Russland gut informiert seien; in Bezug auf die Politik der Europäischen Kommission oder die Beschlüsse des europäischen Parlaments sei es gerade einmal jeder Fünfte.
Die Auswirkungen seien insbesondere bei jungen Menschen zu beobachten: Das Interessenspektrum unter 30-Jähriger habe sich in den vergangenen 15 Jahren stark verengt. Dies liegt laut Studie daran, dass Jugendliche sich heute früh daran gewöhnten, primär Informationen zu Themen zu suchen, die sie von vornherein interessieren. „Interesse für Politik oder Wirtschaft ist jedoch nicht naturgegeben und entsteht auch nicht plötzlich, sondern im Allgemeinen durch die kontinuierliche, geduldige Auseinandersetzung auch mit Themen, die zunächst eher als spröde oder langweilig empfunden werden“, erklärte Köcher. Dieser Prozess komme heute nicht mehr in dem Maß in Gang wie in Zeiten, in denen die regelmäßige Information über ein vorstrukturiertes Angebot in Fernsehen und Printmedien auch in der jungen Generation die Regel gewesen sei. Ihr Fazit: „Die Entwicklung des Interessenspektrums wie auch des Informationsstands der Gesellschaft hängen nicht nur von dem Informationsangebot ab, sondern in hohem Maß von der Bereitschaft und Disziplin, sich kontinuierlich und geduldig zu informieren.“
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Quelle: BDZV