„Wenn ich groß bin, rühre ich zu viel Teig“ / Heute gibt es sie zu besonderen Anlässen
Als Erwachsener erinnert man sich an Familienfeiern im Kindesalter oft nur noch schemenhaft: Geschenke sind im Gedächtnis am präsentesten. Bei mir ist das anders – mir sind auch die Torten im Kopf geblieben.
Besonders an eine Tortenvariation erinnere ich mich gut. Denn zwei Attribute machten sie besonders interessant. Es gab sie zu jeder Familienfeier und zudem war sie für uns Kinder eine verbotene Frucht: die Eierlikörtorte. Warum gerade damit jeder Kaffee-Tisch gedeckt wurde, weiß ich nicht. Warum sie für uns verboten war, erklärt sich von selbst. Wobei dazu gesagt werden muss, dass es – wie bei jeder Erziehungsfrage – auch hier die Erwachsenen gab, die den autoritären Stil versuchten, und die, die den Laissez-faire-Ansatz wagten. „Nein, die Torte darfst du nicht, da ist Alkohol drin!“, hörten wir von der einen Seite. „Ach, das bisschen Eierlikör kannste ruhig mitessen“, von der anderen. Verwirrung. Die Neugier siegte meist und so probierten wir – nachdem der meiste Eierlikör abgekratzt wurde – ein halbes Stückchen.
Doch wie das mit den Anfängen des Alkoholkonsums nun mal so ist: Es schmeckte nicht. Das Beste war der leckere, dunkle Boden, der mit Kakao und gemahlenen Nüssen verfeinert wurde. Diese Meinung änderte sich jedoch schnell, denn der zweite Sekt schmeckt ja meistens auch besser als der erste. So probierte ich von Familienfeier zu Familienfeier ein bisschen mehr und ein bisschen größeres Stück der Torte. Zugegeben, die Eierlikörtorte wurde uninteressanter, je älter ich wurde, und vor allem, nachdem ich dann auch offiziell den gelben Likör trinken durfte, doch trotzdem gehörte sie dazu und war einfach fest bei Familienfeiern eingeplant.
Richtig lecker wurde es aber meist dann, wenn meine Mutter wieder an der Reihe war, die Kalorien-Bombe zu machen. Da die meisten Kinder in der Küche gerne helfen und mir mit einem Reh-Blick kein Wunsch abgeschlagen werden konnte, durfte ich meistens bei der Zubereitung helfen. Das Eierzerschlagen wurde mir noch nicht zugetraut – wird es heute manchmal noch nicht -, aber alle anderen Zutaten durfte ich in die große Schüssel tun. Dann war das Rühren mit dem Mixer an der Reihe. Ich durfte immer anfangen, doch wenn es meiner Mutter zu viele Spritzer des Teigs außerhalb der Rührschüssel wurden, musste ich mich geschlagen geben. Nachdem meine Mutter den Teig in die runde Kuchenform getan hatte, kam der für mich beste Teil am Backen: das Auskratzen der Schüssel, in der für meinen Geschmack immer viel zu wenig Teig übrig geblieben war. Damals schwor ich mir, wenn ich groß bin und selbst backe, dann mache ich immer zu viel Teig. Ich habe es letzte Woche beim Keksebacken getestet: blöde Idee, die nur Magenschmerzen verursacht. Leider haben Mütter manchmal doch Recht.
Heute backe ich Eierlikörtorte nur zu besonderen Anlässen – meist wenn meine Eltern zu Besuch kommen. Aber wenn sie dann einen Platz auf dem gedeckten Kaffeetisch findet, dann erinnere ich mich gern an die vielen schönen Familienfeiern aus meiner Kindheit.
Von Svenja Kracht