Der Deutsche Presserat hat in seiner jüngsten Beschwerdeausschuss-Sitzung zwei Veröffentlichungen kritisiert, in denen eine Vielzahl von Opfern mit Bild und vollem Namen dargestellt wurde. Den beiden Medien wurde jeweils ein Hinweis ausgesprochen – eine der Sanktionsmöglichkeiten des Gremiums neben der nichtöffentlichen Rüge sowie der öffentlichen Rüge mit Pflicht zum Abdruck im kritisierten Medium.
Zwar war über das Mindener Tageblatt keine Beschwerde geführt worden, in der Redaktion ist die Entscheidung dennoch aufmerksam zur Kenntnis genommen worden: auch das MT hatte – nach ausführlicher Diskussion in der Redaktion – im Rahmen seiner Berichterstattung über das Attentat knapp eine Woche nach dem Geschehen eine Fotocollage mit den Porträtfotos von insgesamt 20 Opfern veröffentlicht, allerdings ohne Namensnennung.
Der Presserat hat nun aufgrund der vorliegenden Beschwerden bei der ethischen Bewertung ebenfalls intensiv die Frage diskutiert, ob es nach einer derart außergewöhnlichen Tat gerechtfertigt ist, die Opfer zu zeigen. Viele Medien – darunter eben auch das MT – hatten die Fotos veröffentlicht, weil die Redaktionen den Opfern “ein Gesicht geben“ wollten. Damit sollte den Lesern das Ausmaß dieses schrecklichen Verbrechens begreifbarer gemacht werden. Diese Intention stößt sich nach Auffassung des Presserates allerdings mit dem Persönlichkeitsrecht der Opfer. Nur weil Menschen zufällig Opfer eines schrecklichen Verbrechens werden, rechtfertige dies nicht automatisch eine identifizierende Berichterstattung über ihre Person, meint das Selbstkontroll-Gremien der deutschen Presse. Bei der Abwägung gelangte der Beschwerdeausschuss zu dem Ergebnis, dass das Persönlichkeitsrecht der Opfer im konkreten Fall ein mögliches Informationsinteresse der Leser überlagert habe. Die durch die Fotos entstehende Emotionalisierung sei lediglich eine erweiterte Information, die vom ethischen Standpunkt her zum sachlichen Verständnis des Amoklaufs so nicht erforderlich gewesen wäre.
Eine nicht-öffentliche Rüge erhielten eine Boulevard-Zeitung sowie ihre Online-Ausgabe für die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem neben dem Attentäter selbst auch dessen Mutter so wie eine Freundin abgebildet waren. Nach Ziffer 8 der „Publizistischen Richtlinien“ des Deutschen Presserates sind die Persönlichkeitsrechte von nicht Beteiligten zu schützen. Die Richtlinie 8.1 erläutert im Absatz 3:
Bei Familienangehörigen und sonstigen durch die Veröffentlichung mittelbar Betroffenen, die mit dem Unglücksfall oder der Straftat nichts zu tun haben, sind Namensnennung und Abbildung grundsätzlich unzulässig
Insgesamt 16 Beschwerden hatten dem Presserat zur Berichterstattung über den Bombenanschlag in Oslo sowie den Amoklauf auf Utoya vorgelegen. Mehrere Beschwerden waren bereits im Vorverfahren als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. In anderen Fällen mussten die Ausschüsse entscheiden.
Deutscher Presserat: www.presserat.info