Es sind noch 16 Tage und ich kann das Wort schon nicht mehr sehen, hören, schmecken oder riechen. Es ist überall, verfolgt mich in den Schlaf, ist morgens da, wenn ich die Zeitung aufschlage. Man kann ihm nicht entgehen.
Es ist zum Unwort für mich geworden – obwohl es nichts dafürkann. Das Wort heißt Weihnachten. Man muss doch auch ohne diesen Sentimental-Tsunami auskommen, der von den Triebkräften des Wirtschaftskreislaufs erzeugt, seine Ursprünge niedergewalzt hat.
Bei der Morgenlektüre läse ich lieber mehr Verbrauchertipps als mindestens zwei Pflichtberichte über örtliche Weihnachtsmärkte, auf denen in der Regel stets die gleichen weihnachtlichen Basteleien zu erwerben sind, die nach dem 2. Weihnachten in einem Karton verstauben.
Im Radio würde ich auf „meinem“ Sender gern einen neuen Witz, eine weihnachtsfreie Glosse oder Lieder wie „In the Summertime“ hören statt „Fröhliche Weihnachten überall“ oder Neues aus dem Weihnachtspostamt in Himmelsthür.
In der Arbeit nervt mich mit näherrückendem Fest der Feste der immer häufigere Gruß „Frohe Weihnachten“ oder „Frohes Fest“. Kann man es nicht wie von Januar bis November bei „Schönen Abend“, „Ruhiges Wochenende“ oder so belassen?
Müssen Mittagspausen in der Innenstadt zum Horrortrip für Ohren und Nasen werden? Aus allen Ecken krächzen aus unsichtbaren Lautsprechern die an einer Hand abzuzählenden deutschen Volkslieder von jingelnden Bells und Rudi, dem rednosigen Raindeer oder der whiten Christmas. Und beim Geruch von gekochtem Wein wäre selbst den Heiligen Drei Königen schlecht geworden.
Ich würd jetzt gern für das nächste Frühjahr etwas kaufen – auch ohne Weihnachtsrabatt. Geht nicht? Wer denkt jetzt schon an warme Frühlingstage? 1. Ich und 2. Lebkuchen und Schokoweihnachtsmännern im Spätsommer sind doch auch ihrer Zeit voraus? 3. Schmeckt Sommermettwurst mit Bändchen „Frohes Fest“ besser als ohne?
Der Feierabend vor dem Fernseher könnte bei der Programmvielfalt Weihnachtsfreiheit versprechen. Doch selbst Kettensägen-Werbung für Baumärkte kommen ohne den Mann mit dem weißen Bart nicht aus. Fernsehspiele drehen sich um Familien, die im Gegensatz zur Realität zu Weihnachten wieder zusammenfinden und selbst in den Nachrichten lassen Barack Obama oder Angela Merkel die LED-Leuchten an ihren entwurzelten Tannebäumen leuchten. Und dann weiß ich: Der Tsunami hat mich überrollt.
In diesem Sinne schon mal schöne Weihnachten!
Hartmut Nolte, Lokalredaktion