MT-Chefredakteur Benjamin Piel (Mitte) empfing unter anderem den Digitalexperten Sascha Lobo (rechts) auf der Bühne des Berliner Futuriums. Nico Wilfer (links) ist Chief Product Officer bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und verantwortete dort vor seiner Beförderung die Entwicklung digitaler Produkte. Im BDZV ist er Vorstand für Trends und Innovation.
Konflikte, Transformation und Kampfansage: MT-Chefredakteur moderierte die Jahreskonferenz der deutschen Zeitungsverleger in Berlin
Gerade einmal elf Gehminuten trennen das Reichstagsgebäude und das Berliner Futurium. Zwischen der Machtzentrale und der Zukunftswerkstatt überquert die Kronprinzenbrücke die Spree. Über die Brücke in Richtung einer Zusage für die Zustellförderung gingen die geladenen Spitzenpolitiker von SPD, Grünen und der CDU jedoch nicht. Moderiert wurde der Kongress von Kerstin Münstermann, Mitglied der Chefredaktion der Rheinischen Post und Leiterin von deren Berliner Parlamentsbüro, und Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts. Vor den Vertretern der rund 300 Zeitungsunternehmen und den beiden Moderatoren bekräftigten SPD-Chef Lars Klingbeil, die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und auch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) einhellig die herausgehobene Stellung der Medien bei der Sicherung der Demokratie. „Da geht etwas kaputt gerade. Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass der Wert von Journalismus und gut ausgebildeten Journalisten erkannt wird. Und deswegen ist eine der großen politischen Herausforderungen, gegen Fake News zu kämpfen“, sagte Klingbeil.
Ricarda Lang betonte, dass dort, wo Strukturen wegbrächen und der Informationszugang verlorenen gehe, die Bereitschaft steige, sich den Populisten zuzuwenden. Sie bezeichnete die Stärkung der lokalen Zeitungen als „zentrale Aufgabe“. Sie bekräftigte: „Wir wissen, dass wir bei der Zustellförderung als Ampel auch liefern müssen.“ Merz, von vielen als kommender Kanzlerkandidat der Unionsparteien gehandelt, schrieb den Lokalzeitungen eine Aufgabe ins Hausaufgabenbuch, die sie ohnehin schon, sofern sie kritisch über das lokale Geschehen berichten, wahrnehmen: „Sie sollen Gefahren für die Demokratie erkennen und ein bisschen als Seismograf in unsere Gesellschaft hineinwirken.“ Analog zu Lang forderte er: „Wir müssen die physische Zustellung von Zeitungen auch in ländlichen Regionen sicherstellen.“ Echte Zugeständnisse zu der von der Branche geforderten Zustellförderung machten die Spitzenpolitiker nicht. „Es geht uns darum, Demokratie zu stärken. Wir werden daher in den Haushaltsverhandlungen darauf drängen, dass es zu einer Presseförderung kommt“, lautet Klingbeils vages Versprechen. Wann und ob diese Förderung Realität wird, bleibt weiter offen. Der im Mai neu gewählte Vorstand des Spitzenverbandes um den Vorsitzenden Matthias Ditzen-Blanke (Verleger der Nordsee-Zeitung) steckte die Forderung nach einer Anpassung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beim Kongress als Agenda für die kommenden beiden Jahre ab.
Neben der Zustellförderung fordert der Verband auch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Nachrichtenprodukte. Ditzen-Blanke blickte dafür über die Grenzen: „Immer mehr Länder um uns herum reduzieren den Mehrwertsteuersatz, um die Zukunft ihrer privatwirtschaftlichen Medien abzusichern. Die Tendenz geht dabei in Richtung null Prozent. Es wird ein wesentliches Ziel unserer Arbeit sein, dass auch Deutschland diesen Weg mitgeht“, versicherte er. In diesen Kontext passt auch der schon seit Jahren schwelende und ungelöste Konflikt zwischen den privaten Medienhäusern und den öffentlich rechtlichen Sendeanstalten. Deren frei zugängliche, presseähnliche Online-Textangebote kosten die privatwirtschaftlich organisierten Medienhäuser Reichweite, Nutzer und dementsprechend auch Umsatz. Stefan Hilscher, langjähriger Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags, schätzt ein, dass Chancengleichheit zwischen den GEZ-finanzierten ARD, ZDF und Deutschlandradio und den privaten Medienhäusern in absehbarer Zeit nicht herrschen wird. Wenngleich der beim Kongress ebenfalls anwesende ARD-Intendant Kai Gniffke nach dem Kongress gegenüber dem Branchenmagazin Meedia den im BDZV organisierten Häusern medial die Hand reichte. Er sehe Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit der Qualitätsmedien. „Warum keine gemeinsame Videoplattform? Warum keine gemeinsame Audioplattform? Warum keine gemeinsamen Digitalprodukte“, fragte er rhetorisch. Die verhärteten Fronten in Bezug auf die aus BDZV-Sicht „unzulässigen Beihilfen“ müsse ja keine der beiden Streitparteien aufgeben. Ohnehin hob der BDZV das Thema auf die nächste Ebene nach Brüssel und will dort mit der EU-Kommission „vertiefende Gespräche“ führen und eine Beihilfebeschwerde einlegen. Schlichtungsgespräche waren auf nationaler Ebene bislang ergebnislos verlaufen.
Wie eine staatliche Förderung auch ausgestaltet werden mag, sie soll eine annähernde Chancengleichheit herstellen. Nicht mehr und nicht weniger. „Wir brauchen also keine Unterstützung, um ‚dieses Internet‘ für uns zu entdecken“, unterstrich BDZV-Hauptgeschäftsführerin Sigrun Albert. Gebraucht würden viel mehr „Rahmenbedingungen, die es privatwirtschaftlich organisierten Medienunternehmen überhaupt möglich machen, wettbewerbsfähig im Internet Geschäfte zu betreiben.“ Sie forderte kartellrechtliche Maßnahmen, die nicht mehr die großen Player wie Google, Meta und andere bevorteilen. Schließlich streichen diese auf dem deutschen Markt riesige Gewinne ein, beim deutschen Fiskus lande – anders als von den privaten Medienhäusern – nur ein minimaler Betrag. Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen ringen die Verlage seit Jahren um die Akzeptanz und die Bindung der Leser. Jens Lönneker, Geschäftsführer und Gründer der Kölner Marketingagentur rheingold salon, stellte seine von der Stiftervereinigung der Presse mit Unterstützung des BDZV in Auftrag gegebene Studie „Medien zwischen Achtung und Ächtung – Eine Untersuchung zur Kluft zwischen Medienakzeptanz & Medienaversion in Ost- und Westdeutschland“ vor. Mit dem Ergebnis, dass sich viele Menschen von Medien nicht mehr ausreichend gehört fühlen. Darüber hinaus beschäftigt die Branche – wie alle anderen auch – das Thema Künstliche Intelligenz. Über seine Gedanken darüber, „wie das Netz und Künstliche Intelligenz die Welt verändern – und was das für Demokratie, Gesellschaft und Medien bedeutet“ –, referierte in seinem Abschlussvortrag der Autor und Digitalexperte Sascha Lobo. Kurzum: In allen Bereichen rollt auf die Gesellschaft unaufhaltsam eine tiefgreifende Veränderungswelle zu. Die Menschen über diese Umwälzungen zu informieren, Argumente und Parolen zu unterscheiden und einzuordnen sowie Orientierung zu geben, ist der elementar wichtige Beitrag zur Sicherung der Demokratie. Die Veränderungswelle trifft auch die Medienbranche. Aber als Mut machendes Motto hätte der Vortrag von Thomas Düffert, Vorstandsvorsitzender der Madsack Mediengruppe, gepasst: „Print geht, Journalismus bleibt.“
Warum fordert die Branche eine Förderung?
■ Die Produktion der gedruckten Zeitung wird nicht nur aufgrund der steigenden Energiepreise immer teurer. Schon im Vorfeld der eigentlichen Zeitungsproduktion drücken die Energiekosten auf den Preis der Rohstoffe wie Papier und Farben.
■ Lieferanten geben diese Kostensteigerungen natürlich an die Druckhäuser weiter.
■ Gleichfalls verteuert der im Oktober 2022 auf 12 Euro brutto pro Stunde angehobene Mindestlohn die Zustellung. Zum 1. Januar 2024 beschloss die Mindestlohnkommission eine Anpassung auf 12,41 Euro.
■ Häufig übersteigen die Kosten den Abo-Preis. Das ist betriebswirtschaftlich problematisch und daher fordert die Branche ein staatliches Eingreifen.
Christian Bendig
SPD-Chef Lars Klingbeil sieht im Kampf gegen Fake-News eine Herausforderung. Siv Juvik Tveitnes berichtete von Beispielen gelungener digitaler Transformation in Norwegen.
Fotos: pr/Marcus Zumbansen