Wir müssen uns leider korrigieren. Und gleichzeitig bei den Betreibern der Internetportale Abgeordnetenwatch und Wen-Wählen entschuldigen, die wir am Wochenende über Twitter schon mangelnder Sorgfalt bezichtigt hatten, weil sie angeblich einen vermeintlichen Phantom-Direktkandidaten für den Wahlkreis Minden-Lübbecke I aufführten. Jetzt steht fest: es gibt ihn wirklich – aber letztlich bleibt er doch zumindest für die Redaktion ein wenig phantomhaft.
Tatsächlich führt der Stimmzettel im Wahlkreis Minden-Lübbecke I neben den sechs ausführlich vom MT vorgestellten und im Wahlkampf begleiteten Direktkandidaten einen weiteren Kandidaten auf. Zwar kommt in der linken Spalte „Erststimme“ nach den hier vorgestellten Personen erst einmal lange, lange nichts als Weißraum (weshalb auch die schon briefgewählt habenden Kollegen aus der Erinnerung unsere dann am Wochenende verbreitete Behauptung stützten, mehr Kandidaten gäbe es nicht). Dann aber taucht weit unten neben der in der rechten Spalte „Zweitstimme“ (für die Landeslisten der Parteien) aufgeführten Liste 19 „Freie Wähler“ deren Direktkandidat auf.
So weit wiederum hatte das uns als Beleg dienende Foto des Mindener Wahlamts von einem echten Stimmzettel nicht gereicht. Weshalb wir, zugegeben etwas voreilig, unsere Aussage nach Augenschein und Schnellrecherche in der Redaktion in die Welt setzten, statt noch einmal unsere eigene Berichterstattung über das Ergebnis des Wahlprüfungsausschusses (deren Verfasser in Urlaub war) hervorzukramen und als Anlass für weitere Recherchen zu nehmen.
Der Kandidat also: Er heißt Thomas Gattner, als Beruf nennt der Stimmzettel Umschüler, als Wohnsitz Horn-Bad Meinberg. Welches seine näheren Beziehungen zum Wahlkreis Minden-Lübbecke I sind, hat die Redaktion trotz mehrfacher entsprechender Bemühungen bisher leider nicht herausfinden können, wie der inzwischen aus dem Urlaub zurückgekehrte Kollege zu berichten weiß. Auf unsere über verschiedene Kanäle vorgetragenen Kontaktversuche hat er nicht reagiert, von sich aus ist er ebenfalls nicht aktiv an die Redaktion herangetreten. Pressemitteilungen, Werbematerial, Einladungen zu Veranstaltungen oder ähnliches – Fehlanzeige. Irgendwann geriet dieser nicht antwortende oder irgendwie zu erreichende Kandidat dann aus dem Blickfeld der Redaktion, die Wahlberichterstattung nahm auch ohne ihn ihren Lauf und schließlich war der Kollege, der es gewusst haben könnte, in Urlaub.
Dass es sich bei Thomas Gattner allem Anschein zum Trotz nicht um ein Phantom, sondern einen existierenden Menschen handelte, hatte jedoch schon der Wahlprüfungsausschuss des Kreises mit der Anerkennung seiner Kandidatur bestätigt, es müssen also entsprechende Unterlagen sowie die erforderlichen 200 Unterstützer-Unterschriften vorgelegen haben.
Demzufolge taucht er auch in der einschlägigen, auch online einsehbaren Kandidatenübersicht des Bundeswahlleiters auf. Da diese wiederum die Grundlage für die Kandidatenübersichten von Internetportalen wie Abgeordnetenwatch.de oder Wen-Wählen.de bildet, handelt es sich bei Thomas Gattner also in jedem Fall schon mal um einen virtuellen Kandidaten, auch wenn beide Portale so gut wie keine weitere Informationen über ihn bieten, da er keine eingestellt hat. Immerhin lässt sich bei Wen-Wählen das Geburtsdatum herausfinden: 1982. Auch auf der Internetseite seiner Organisation „Freie Wähler“ wird der suchende Journalist oder gar Wähler nicht viel fündiger: Zwar führt sie ihn als Kandidat mit immerhin Landeslistenplatz 9 mit einer eigenen Seite auf – allerdings ohne jedes persönliche Statement außer einem sehr allgemeinen Hinweis auf das Programm der Freien Wähler. Dafür gibt’s hier ein Bild, wenn der jeweils verwendete Browser es denn laden kann. Weshalb wir jetzt (siehe oben) auch eines zeigen können.
Dass es ihn in Person gibt, bezeugt mit eben diesem Bild auch die Bielefelder Regionalzeitung „Westfalen-Blatt“. Sie listet ihn auf einer doppelseitigen Übersicht aller Direktkandidaten in Ostwestfalen-Lippe damit auf, einschließlich einer vom Stimmzettel abweichenden Berufsbezeichnung. Hier firmiert er als „Fachkraft für Süßwarentechnik“.
Zwar war das Wissen von dieser Kandidatur der Redaktion im Laufe des Wahlkampfes mangels Wahrnehmbarkeit des Kandidaten irgendwann verloren gegangen, zu guter Letzt ist Thomas Gattner dann offensichtlich aber doch doch noch im Wahlkreis gesehen worden. So hat er an der von der IHK im Mindener Victoria-Hotel veranstalteten Podiumsdiskussion der Direktkandidaten teilgenommen, wie uns heute Jens Vogel als Reaktion auf einen Twitter-Post über Facebook berichtet. Leider war das MT bei diesem Termin nicht vertreten, da wir in Wahlkämpfen wegen der Vielzahl ähnlicher Veranstaltungen jeweils stellvertretend – eine für alle – nur eine Podiumsdiskussion mit allen Kandidaten besuchen und uns diesmal für die der Frauenverbände entschieden hatten. Aber eine Recherche bei anderen Podiumsteilnehmern ergab: Gattner war tatsächlich da. Man konnte sich allerdings schon kaum noch an ihn erinnern.
Möglicherweise hat er auch an anderen Veranstaltungen teilgenommen – wir wissen es leider nicht. Vielleicht schaffen wir es noch, ihn vor der Bundestagswahl zu sprechen. Interessieren würde es uns schon, wie die Strategie eines Wahlkampfs von Horn-Bad Meinberg aus in Minden-Lübbecke so völlig ohne jede – zugegeben: von uns wahrnehmbare – Öffentlichkeitsarbeit aussieht, sei es über klassische Kanäle oder über das Internet. Möglicherweise sind wir aber auch gar nicht die Zielgruppe. Vielleicht sind es nicht einmal die Wähler? Wer weiß. Wir jedenfalls wollen diesem Kandidaten die von uns erreichbare Öffentlichkeit nicht vorenthalten, so wenig wie dieser Öffentlichkeit die über den Kandidaten erhältlichen Informationen. Bislang konnten wir da leider wenig liefern. Bis auf die Stelle, an der er auf dem Wahlzettel zu finden ist. Falls jemand doch …